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Laufbericht Brixen Dolomiten Marathon 2016
von Tanja Plaikner

Es ist so weit: mein absolutes Lieblingsrennen des Jahres startet am 2. Juli. Die Vorfreude in den letzten Wochen war groß, die Aufregung ebenso. Das Training hat verletzungsfrei und plangemäß alles zugelassen, die Erwartungen waren also hoch.

Die Atmosphäre am Vortag, bei der Abholung der Startunterlagen, ist wie jedes Jahr eine ganz besondere für einen Athleten beim Heimrennen. Alle schwirren geschäftig und hektisch am Domplatz herum. Die OK-Chefs sind angespannt und die Nerven bei allen dem Zerreißen nahe. Ich tausche noch letzte Tipps und Glückwünsche mit den Vereinskollegen/innen aus. Emotional aufgeladen finde ich persönlich den Start-Song des Frauenlaufs “An Tagen wie diesen”, bereits hier muss ich mir, wie jedes Jahr ein paar Tränchen der Vorfreude auf den nächsten Tag verdrücken: ich ziehe mich bald zurück und versuche meine Gedanken in geordnete Bahnen zu lenken und den notwendigen Schlaf zu bekommen.

Das gelingt (wie immer) nicht ganz so gut, trotzdem kann ich am nächsten Tag guter Dinge zum Start gehen. Bereits unterwegs trifft man die aufgeregten Athleten, welche teils noch recht verschlafen zum Start hinwandern. Letzte Handschläge, Umarmungen und ganz eigene Start-Rituale vor dem Einlaufen und der Startaufstellung gehen in Null-Komma-Nix vorbei. Das Warten bis zum Startschuss wird mit der Premiere des brandneuen Marathon-Songs der Brixner Band Frei.Wild! verkürzt. Die kratzige Stimme des Philipp Burger ertönt mit den Zeilen “Jeder ist Sieger- run to the limits”. Danach geht’s endlich los: zum vierten Mal bin ich dabei und freue mich richtig auf die Aufgabe, 2.450 Höhenmeter und 42,2 km hinter mich zu bringen und zu genießen.

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In der Stadt ist es bereits sehr schwül und die Temperaturen alles andere als “bestzeitfreundlich”. Sobald die Steigung beginnt sind, wir schon nassgeschwitzt und einige recht überrascht von den Bedingungen. Mir kommt zu Gute, dass ich mich mental bereits auf ein schweres Rennen eingestellt hatte, aus verschiedenen persönlichen Gründen hab ich‘s mir heuer schwerer als in anderen Jahren vorgestellt. Die Gedanken waren
während dem Training in der fast gesamten Vorbereitungszeit nicht fokussiert genug. Es war unerlässlich, bei derartigen Temperaturen besonderen Wert auf die Verpflegung zu legen, genügend trinken, ISO und Salze zu sich zu nehmen und einfach auf sich und seinen Körper zu hören. Bis St. Andrä ging es schnell weiter, beim ersten Staffelwechsel war bereits die Hölle los, anscheinend kündigte sich die Ankunft der Führungsstaffel bereits an. Unerwartete Unterstützung bekam ich von einer langjährigen Freundin, die mich kurz nach der Verpflegungsstation am steilen Stück mit lauten Zurufen angefeuert hat. Solche Momente sind Gold wert und freuen uns Läufer ganz besonders!

Ich fühle mich sehr gut und weiß, dass ich aufs erste Teilstück bereits Zeit auf das Vorjahr gut machen konnte. Weiter geht es über die Rodelbahn Richtung Afers, viele Athleten scheinen bereits mitgenommen und geplagt von aufkommenden Krämpfen oder Vorahnungen darauf. Mir geht das gesamte Teilstück leicht von der Hand, besser gesagt: von den Füßen. Bei der Wechselzone in Afers ist die Stimmung wie immer grandios und Staffelläufer und Bekannte tragen zu einer wahnsinnigen Atmosphäre bei und lassen richtiges Gänsehautfeeling aufkommen.

Jetzt erwartet mich das schwerste Stück des Marathons. Die längste Etappe mit wenig Motivation durch Publikum liegt vor mir. Mir ist bewusst, dass ich viel schneller unterwegs bin, als ich jemals zu planen gewagt hätte. Da ich ja recht genau weiß, was noch vor mir liegt und der Respekt vor der Herausforderung mit den Jahren nicht kleiner wird, ist mir ein wenig mulmig zu Mute. Die berühmte Watsche will ich nicht bekommen. Trotzdem schaffe ich es, meine Zweifel zu überwinden, den Schweinehund einmal mehr zum Schweigen zu bringen und mich auf meine gute Vorbereitung zu verlassen und meine Füße einfach laufen zu lassen.  Die steilen Streckenabschnitte meistere ich mit Leichtigkeit, gemeinsam mit einer Vereinskollegin vertreiben wir uns mit Fachsimpeln den nächsten Abschnitt über die Rodelbahn bis zur Schatzer Hütte. Von dort laufe ich alleine weiter: mein Lieblingsstück unter dem Gabler über das schmale Steiglein bis zur Rossalm. Das Wetter wird hier schlechter, der Nebel hängt bereits weit herunter und ich ahne Böses. An der Verpflegung treffe ich eine Trainingskollegin, die mir Mut zuspricht und mich motiviert, weiter alles zu geben. Schön! Solche Treffen und Augenblicke, die sind wahnsinnig viel wert und bleiben lange im Kopf!

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Weiter bis nach Kreuztal geht so schnell vorbei, dass ich kaum zuschauen kann. Eigentlich habe ich dort mit Freunden vereinbart, dass sie auf mich warten und mich unterstützen, jedoch ist keiner da! Ein Blick auf die Uhr erklärt mir auch warum: 20 Minuten vor der veranschlagten schnellsten Zeit … oje, ob das gut geht! Meine Gedanken sind jedoch schon beim nächsten Streckenabschnitt: relativ flach geht es weiter bis zur Ochsenalm. Zeit für Erholung bleibt allerdings nicht! Ich bemühe mich, weiter zu laufen, der Kopf will zwar einen Gang zurückschalten und das Stück entspannter angehen – bereits in Gedanken an die letzten 3 anstrengendsten Kilometer bis ins Ziel. Nix da! Wenn es bis hierher so gut geklappt hat, muss jetzt schon noch was drin liegen! Los, weiter, auf auf … ein paar Wanderer überholen und sich von den vorbeikommenden Staffelläufern noch mitziehen lassen… und schon ist sie da: die Ochsenalm.

Wo ist mein Feuerwehr-Kollege, der mir versprochen hatte, dort zu warten und mir eine Cola zu reichen? Was? Nicht da! Frechheit! Ok, er wartet weiter oben, war die Auskunft seiner Kollegen. Gut, es gibt eh‘ kein Zurück. Das letzte Stück wird happig, Nebel und kalter Wind erschweren das steilste Stück aufs St.Leonharder Kreuz noch anständig. Zum Glück kenne ich den Weg in- und auswendig. Die Bedingungen sind schon sehr kritisch, die Kälte und der Nebel setzen einem ständig zu. Gestärkt mit dem letzten Schluck Cola geht’s hinauf zum Panorama-Tisch. Der letzte Anstieg, danach nur noch genießen! Geschafft, jetzt nochmal richtig Gas – flach ins Ziel laufen, der letzte Kilometer! Und die Freunde über meinen Kollegen, der mich 500 m vor dem Ziel doch noch empfängt ist riesig: er kann es kaum nachvollziehen, wie motiviert ich an ihm vorbei komme.

Der neue Zieleinlauf mit dem kurzen Teilstück bergab erfordert nochmal Konzentration und wieder ist es geschafft – kaum zu glauben – die Ziellinie liegt hinter mir! Welch ein Gefühl! Die Tränen der Freude und Erleichterung sind nicht zurückzuhalten! Evi, die Präsidentin des Marathons und unsere Trainerin, empfängt mich mit einer herzlichen Umarmung und freut sich mit mir! Das Geleistete und das Glücksgefühl hält noch lange weiter an. Es sind immer wieder wunderbare Momente und Gedanken, die in den Wochen nach dem Rennen aufkommen. Die Erinnerung an die Freude lässt noch Wochen und Monate nach dem Lauf Freudentränen in meinen Augen aufblitzen, wenn ich mich in die intensiven Gefühle hineinversetze.
Schade, wieder viel zu schnell vorbei gegangen, mein Lieblingstag im Jahr!

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